Das Thema Sicherheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz gewinnt im Betrieblichen Gesundheitsmanagement zunehmend an Bedeutung. Gerade für Frauen ist das Bedürfnis nach Selbstschutz und mentaler Stärkung wichtig – und hat auch Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im Job. Die „Polizei dein Partner“ (Gewerkschaft der Polizei) hat mit feem-Gründer und CEO Till Völzke gesprochen.
Das Start-Up feem bietet Unternehmen eine neue Kombination aus Selbstverteidigung und Gewaltprävention an.
Erfahrungen mit Gewalt beeinflussen nicht nur die mentale Gesundheit von Frauen, sondern auf lange Sicht auch ihre Zufriedenheit und Motivation im Job. Da es nur sehr wenige Angebote im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) gibt, die sowohl die Sicherheit am Arbeitsplatz als auch auf dem Weg zur Arbeit und von der Arbeit nachhause betrachten, hat der Selbstverteidigungstrainer Till Völzke im Jahr 2021 das Start-Up „feem“ (Abkürzung für „Feel Empowerment“) gegründet. „Unser Angebot zielt darauf ab, die Selbstsicherheit und das Selbstbewusstsein von Frauen zu stärken“, erklärt Till Völzke. „Jede Frau hat das Recht, sich sicher und geschützt zu fühlen – in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz – und vor allem auch von innen heraus.“ Bei feem geht es deshalb um das Entdecken der eigenen Stärken, die jede Frau auf einfache Art mithilfe von körperlichen und verbalen Abwehrtechniken erlernen kann.

Ängste in Mut verwandeln
Die Trainingseinheiten richten sich in erster Linie an privatwirtschaftliche Unternehmen. Sie beginnen mit einem Vortrag über Selbstschutz und Selbstsicherheit, um die Teilnehmerinnen zunächst einmal für diese Themen zu sensibilisieren. Schon zu diesem Zeitpunkt werden die unterschiedlichen Sichtweisen von Männern und Frauen deutlich: „Männer geben nicht unbedingt zu, dass sie ängstlich sind“, weiß Völzke. „Frauen sind da deutlich offener und sprechen eher über schwierige Situationen oder Erlebnisse.“ Im zweiten Teil, den anschließenden Workshops, wird das eigene Verhalten reflektiert und trainiert. Dabei lernen die Teilnehmerinnen verschiedene Techniken kennen, wie sie in potenziell gefährlichen Situationen deeskalierend handeln können.
Dabei ist es wichtig, zwischen privaten und beruflichen Situationen zu unterscheiden. „Wenn mir privat jemand zu nahekommt, kann ich deutliche Worte finden, weil ich diese Person vielleicht nicht wiedersehe“, erklärt Till Völzke. Wenn sich jedoch ein Kollege im Büro aufdringlich verhält, sei die Lage schon schwieriger. „Man ist dann oft gehemmter, weil man mit diesem Menschen schon am nächsten Tag wieder zusammenarbeiten muss.“ Anlaufstellen wie Gleichstellungsbeauftragte oder der Betriebsrat seien für viele Mitarbeiterinnen in der Regel erst der allerletzte Ausweg.
Der dritte und letzte Teil der Trainings sind die Selbstverteidigungskurse. Über einen Zeitraum von sechs Wochen – jeweils einmal die Woche für circa 90 Minuten – geht es zum Beispiel darum, wie man Gefahren schon im Vorfeld erkennen kann. Denn Selbstverteidigung fange nicht erst bei einer verbalen oder körperlichen Attacke an. Wichtig sei, auch bei ersten Anzeichen von seelischer oder sexualisierter Gewalt rechtzeitig zu handeln. „Wir müssen wieder mehr auf unser Bauchgefühl hören und uns für bestimmte Situationen sensibilisieren, was wir in letzter Zeit leider verlernt haben“, erklärt Till Völzke. „Das kann zum Beispiel ein Gespräch mit einer guten Freundin sein, wenn wir das Gefühl haben, dass uns jemand nicht guttut.“ Über solche präventiven Möglichkeiten hinaus trainieren die Teilnehmerinnen untereinander, wie sie sich sowohl verbal als auch körperlich aktiv zur Wehr setzen können. Das beginnt bei typischen Gesten wie „Stopp – bleiben Sie bitte sofort dort stehen“ und reicht bis hin zu Techniken, die man anwenden kann, wenn diese Grenzen nicht eingehalten werden.

„In Notsituation, in denen man körperlich angegangen wird, geht es nicht darum, zu kämpfen, sondern sich zu wehren, um möglichst gesund aus dieser Situation herauszukommen. “ In den Selbstverteidigungseinheiten sollen die Frauen erkennen, welche Kräfte in ihnen schlummern und lernen, sich zu wehren, ohne groß darüber nachzudenken. „In einer Angriffssituation hat niemand Zeit, zu entscheiden, was richtig oder was falsch ist“, weiß Till Völzke. „Wenn mir jemand an den Hals fasst und zudrückt, muss stattdessen ein gewisser Automatismus in Gang kommen.“
Um den Teilnehmerinnen zu beweisen, dass das ganz von allein passiert, werden sie jeweils eine kurze Zeit lang gefilmt. Wenn sich die Frauen diesen Zusammenschnitt später ansehen, sind sie überrascht, wie sie sich verändert haben und wie stark sie eigentlich sind. „Das ist genau der Punkt, den wir erreichen wollen“, so Völzke. „Wir wollen zeigen, dass jede Person genug Kraft, um jemanden K.O. zu treten, ohne spezielle Kenntnisse zu haben.“ Ein wichtiger Punkt, der den Trainern bei feem am Herzen liegt: Die Teilnehmerinnen sollen verstehen, dass man in Deutschland Notwehr ausüben darf und auch sollte. Hat man in Notwehr gehandelt, sollte man außerdem nicht davor zurückschrecken, sich zusätzlich an die Polizei zu wenden und sich möglicherweise auch einen Anwalt zur Hilfe zu holen. Die Frauen könnten dann beispielsweise folgende Haltung vertreten: „Ich wurde angegriffen und habe in einem Selbstverteidigungskurs gelernt, wie ich mich wehren kann. Ich wollte aus der Situation heraus und hatte das Ziel, zu flüchten. Das habe ich geschafft.“ Alles andere liegt dann im Bereich der Juristen.
Die mentale Gesundheit lässt sich trainieren
Langfristig wirkt sich Selbstverteidigung wie ein Booster positiv auf die mentale Gesundheit aus. „Man hat mehr Selbstvertrauen und mehr Selbstsicherheit. Wenn man weiß, was zu tun ist, fühlt man sich automatisch sicherer und zufriedener“, weiß Völzke. Jeder Mensch habe Angst, aber man könne lernen, damit umzugehen. „Wenn ich weiß, dass ich nicht hilflos bin, reduziert das Stress und Unwohlsein. Wenn ich zum Beispiel einem Kollegen oder Bekannten klare Grenzen setze und sehe, dass es funktioniert, ohne dass die Situation eskaliert, stärkt das auch die Resilienz.“
Die mentale Gesundheit könne außerdem jeden Tag trainiert werden. „Ich kann zum Beispiel in die Bäckerei gehen, und wenn ich sonst ein leiser Typ bin, kann ich dort einfach mal laut ‚Guten Morgen!“ rufen. Dann lachen vielleicht einige, aber man sieht, dass es funktioniert. Und wenn mich mental besser fühle und immer sicherer werde, bin ich kein Opfer mehr. Dann falle ich durch das Täterraster, weil ich mich selbst stark fühle und das auch ausstrahle. Und schon beschäftigt sich der Täter nicht mehr mit mir, sondern sucht sich jemand anderen.“ Um sich selbst daran zu erinnern, regelmäßig Stärke zu zeigen, habe sich eine Teilnehmerin jede Woche eine Erinnerung in ihr Handy gesetzt. Egal wo sie dann war – ob zuhause, bei der Arbeit oder in der U-Bahn – habe sie in diesem Moment automatisch eine ganz andere Körperhaltung eingenommen. „Wir finden, das ist ein toller Lernerfolg, der weit über unsere Kurse hinausgeht“, freut sich der Trainer.
KF (Stand: 25.04.2025)
Quelle: VDP – Verlag Deutsche Polizeiliteratur GmbH – Polizei dein Partner – Gewerkschaft der Polizei https://www.polizei-dein-partner.de/themen/gewalt/gesellschaft/detailansicht-gesellschaft/artikel/mentale-gesundheit-durch-selbstverteidigung-staerken.html