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Der feem blog

Kategorie: Interview

“Gesundheit steht an erster Stelle, das muss jeder verstehen” 

Im Gespräch mit Nora Dietrich über mentale Gesundheit in der Arbeitswelt. Nora Dietrich ist Expertin für mentale Gesundheit, Psychotherapeutin, Gründerin und Co-CEO von „Between People“, Autorin und Kolumnistin beim STRIVE-Magazin. Im Interview mit feem spricht sie über Gesundheitsmanagement, nachhaltige Führung und psychologische Sicherheit. 

feem: Nora, mit welchen Themen beschäftigst du dich in deinem beruflichen Alltag? 

ND: Ich beschäftige mich mit mentaler Gesundheit in der Arbeitswelt. Dabei geht es besonders darum, die zwischenmenschlichen Themen sichtbar zu machen. Wie können wir bestmöglich unsere Arbeit machen und trotzdem gesund bleiben? Wie gelingt effektives Feedback und echte Wertschätzung? Wie wird unsere Arbeitswelt gesünder? Diese Fragen versuche ich mit meinem Unternehmen „Between People“ zu beantworten. 

feem: Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen für mentale Gesundheit in der Arbeitswelt? 

ND: Ich sehe die Digitalisierung unserer Welt als große Herausforderung für die mentale Gesundheit an. Natürlich bringt sie Vorteile für Unternehmen, wie einfache Kommunikation, neue Geschäftsmöglichkeiten oder automatisierte Prozesse. Aber die einzelne Mitarbeiterin kann sie überfordern. Wir sind täglich einer Informationsflut ausgesetzt. Da fällt es schwer, alles einzuordnen oder abzuschalten. Es gibt kaum noch Abgrenzung zwischen beruflicher und privater Welt. Außerdem merke ich, dass es Mitarbeiter:innen immer schwerer fällt, fokussiert zu arbeiten, was nicht verwunderlich ist, wenn ständig irgendwo eine Benachrichtigung aufblinkt. 

feem: Die Krisen der letzten Jahre haben sicher nicht zu Stabilität beigetragen. 

ND: Im Gegenteil. Globale Krisen wie Kriege, Umweltkatastrophen oder sinkender Wohlstand bringen große Unsicherheit. Dazu kommt unser Leistungsnarrativ, dass viele Menschen belastet. Ganz nach dem Motto „Du bist nur was wert, wenn du arbeitest und Leistung bringst“. Das lässt viele erst zu spät merken, dass sie krank sind und Hilfe brauchen. 

Nora Dietrich ist Expertin für mentale Gesundheit in der Arbeitswelt.

feem: Was möchtest du mit deinem Unternehmen „Between People“ erreichen? 

ND: Unser Ziel ist es, Führungskräften Fähigkeiten an die Hand zu geben, um mentale Gesundheit auf die Agenda zu stellen. Wer versteht, welche Auswirkungen mentale Gesundheit auf die Motivation und Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter:innen hat, wird sein Unternehmen erfolgreicher führen. Dabei ist es besonders wichtig, Beziehungen zu pflegen, denn die sind die Basis für Zufriedenheit. Das gilt für alle Bereiche des Lebens, aber besonders für die Arbeitswelt. 

feem: Im Juni erscheint dein Buch „Mental Health at work“. Was können Leser:innen daraus lernen? 

ND: …, dass es nicht noch mehr Hacks für mentale Gesundheit braucht, sondern die Erlaubnis, sie anzuwenden. Wichtig ist es, Bedürfnisse zu erkennen. Mentale Gesundheit ist kein Do-it-Yourself-Projekt, sondern entsteht nur, wenn das ganze Team zusammenarbeitet. Mentale Gesundheit muss in die Unternehmenskultur integriert werden. Das kann nur gelingen, wenn Erholung im Arbeitsalltag mitgedacht wird.  

Auf dem Bild sieht man Nora Dietrich und das Cover ihres Buches
In ihrem Buch gibt Nora Dietrich Tipps, um gesünder zu arbeiten.

feem: Was muss sich in unserer Arbeitswelt verändern, damit sich die mentale Gesundheit der Mitarbeiter:innen verbessert? 

ND: Im ersten Schritt, muss die Frage beantwortet werden, wie gesund die Belegschaft ist. Die Firma muss sich fragen, wo die Arbeitsabläufe zur Überforderung und Belastung beitragen. Dazu braucht es ein Betriebliches Gesundheitsmanagement, das auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen angepasst ist. Jedoch reicht das BGM nicht, wenn sich die Arbeitskultur nicht grundlegend verändert. Alle im Unternehmen müssen an diesem Prozess beteiligt sein. Mitarbeiter:innen müssen sich trauen zu sagen, wie besser zusammengearbeitet werden kann. Aussagen wie „Hast du heute schon wieder Yoga gemacht? Ich könnte mir das nicht erlauben.“ sind leider oft noch präsent in den Denkweisen vieler Mitarbeiter:innen, lösen aber gleichzeitig viel Druck aus. Gesundheit steht an erster Stelle, das muss jeder verstehen. 

feem: Wie können Führungskräfte ihre Mitarbeiter:innen und deren mentale Gesundheit unterstützen? 

ND: Schon Kleinigkeiten im Alltag haben eine große Wirkung. Durch Danke sagen zum Beispiel. Aber auch dadurch, dass sich die Beschäftigten gesehen und gehört fühlen. Entscheidend ist auch, dass die Chef:innen die Situation angemessen bewerten. Sehe ich nur die Leistung oder kenne ich den Kontext? Merke ich, wenn meine Mitarbeiter:innen nicht leistungsfähig sind? Wenn ja, sollte das im Vier-Augen-Gespräch angesprochen und Hilfe angeboten werden. Ignorieren ist der falsche Ansatz. 

feem: Wie definierst du psychologische Sicherheit? 

ND: Psychologische Sicherheit ist für mich, die Fähigkeit, sich verletzlich zu zeigen. Wie viel Vertrauen habe ich, in meine Umwelt, kann ich das Risiko eingehen, mich verletzlich zu zeigen? Das ist für mich volatil. 

feem: In der Selbstverteidigung sprechen wir davon, dass die persönliche Sicherheit gestärkt wird. Selbstverteidigung gibt Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Stärken. Inwieweit bedingen sich persönliche und psychologische Sicherheit? 

ND: Das eine bedingt das andere. Es gibt keine persönliche Sicherheit ohne psychologische Sicherheit und andersherum. An beidem muss ich parallel arbeiten. Aber auch mein Umfeld ist entscheidend. Habe ich Menschen um mich herum, die mich bestärken? Bekomme ich das Gefühl, dass ich es wert bin, gehört zu werden? 

Danke liebe Nora für das angenehme Gespräch und deine Impulse!


Lisa Gerth, 29. Juni 2025